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Die Franzosen und das Streiken: eine Wörterliste für mehr Durchblick

Heute liegt wieder einmal ganz Frankreich platt, weil zum Generalstreik gegen Macrons Rentenreform aufgerufen wurde. Es fahren kaum Züge, Schulen sind geschlossen, und sogar der Eiffelturm macht dicht. Was hat es mit den Franzosen und ihrer Lust am Streiken auf sich?

La grève

La grève heißt Streik und ist in Frankreich alles andere als selten. 2016 gab es im ganzen Land über 800 Streiks, also im Schnitt 2,2 Arbeitsniederlegungen pro Tag. Mit 123 Streiktagen pro 1000 Arbeitnehmer sind die Franzosen Weltmeister auf diesem Gebiet. Im Unterschied zu ihren nördlichen Kollegen streiken französische Arbeitnehmer nämlich oft schon vor Beginn der Tarifverhandlungen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bei uns hingegen gilt der Streik eher als letztes Druckmittel, wenn keine Einigung in Sicht ist.

La grève heißt Streik und ist in Frankreich alles andere als selten.

Grève reconductible

Der heutige Generalstreik wurde als „grève reconductible“ (verlängerbarer Streik) angekündigt, was bedeutet, dass die Aktionen ohne Zeitlimit weiterlaufen können. So verkauft die französische Bahn vorsichtshalber schon gar keine Zug-Tickets für die nächsten 3 Tage mehr.

Aktuelle Streikvorhersage

Im Herbst werden normalerweise regelmäßig Demonstrationen organisiert. Lokalzeitungen und regionale Radiosender geben dann gleich nach den Staumeldungen bekannt, wo es aufgrund von Demonstrationen zu Behinderungen kommt. Auf Websites wie cestlagreve.fr (gibt es sogar als App!) kann man sich informieren, wo in der kommenden Woche überall die Räder stillstehen.

Service minimum

Öffentliche Dienste und Einrichtungen wie Nahverkehr, Feuerwehr und Krankenhäuser sind dazu verpflichtet, während des Streiks einen „Minimalservice“ zu bieten. Die französische Bahn nutzt das gleich richtig aus: So fährt heute nur 1 von 10 Zügen.

Les syndicats

Das französische Wort für Gewerkschaften. Die sind in Frankreich nach wie vor besonders mächtig und einflussreich, obwohl gerade mal 11 % der berufstätigen Franzosen einer Gewerkschaft angehören. Damit zählt der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Frankreich zu den niedrigsten von ganz Europa.

Donnant-donnant

Schöner Ausdruck (geben-geben) für das, was wir „geben und nehmen“ nennen. Man kommt einander entgegen, zeigt sich kompromissbereit, macht Zugeständnisse … solange beide Seiten damit leben können. Und sonst? Wird gestreikt.

Wir streiken bis zur Rente, hahaha!

„Wir streiken bis zur Rente, hahaha!“

Mai 1968: 9 Millionen Streikende

Das Frühjahr 1968 gilt noch immer als die bekannteste und längste Streikperiode in der französischen Geschichte. Eine Studentenrevolte in Paris wuchs sich zu einem Generalstreik aus, der fast einen Monat andauerte und an dem sich 9 Millionen Arbeitnehmer beteiligten.

La Manif’

Gängige Abkürzung für manifestation (Demonstration, Kundgebung). Der französische Abkürzungsfimmel macht eben vor nichts halt, schon gar nicht vor so alltäglichen Dingen wie Streikdemos.

Place de la Bastille & Place de la République

Auf diesen zwei großen Pariser Plätzen starten oder enden die meisten Demonstrationen. Sie sind symbolische Orte, denn auf der Place de la Bastille begann 1789 die Französische Revolution und auf der weitläufigen Place de la République steht die 9,5 Meter große Statue der französischen Nationalfigur Marianne. Hier finden jedes Jahr über 250 Kundgebungen statt. 2015 endete hier der Gedenkmarsch nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo.

Demonstrationen in Frankreich

Merguez

Die scharfen Würstchen gehören in Frankreich zu Demonstrationen wie der Christbaum zu Weihnachten. Auf jeder manifestation sieht man qualmende Buden, an denen die Streikenden mit gegrillten merguez versorgt werden. Von der Wut im Bauch allein wird man schließlich nicht satt.

Geschönte Teilnehmerzahlen

Ein interessantes Phänomen, das wir auch kennen (obgleich in geringerem Ausmaß), ist die Differenz zwischen den von den Gewerkschaften und der Polizei nach einer Demonstration verkündeten Teilnehmerzahlen. In Frankreich können diese besonders weit auseinanderklaffen.

Was auffällt: In einer südlichen Stadt wie Marseille scheinen die Organisatoren weitaus mehr zur Übertreibung zu neigen als in Paris. Dort kann es schon mal vorkommen, dass die angegebene Zahl zehnmal höher liegt als die Schätzungen der Polizei.

Streikmüdigkeit in Frankreich

Ihren Ruf als Streikweltmeister werden die Franzosen zwar nicht so bald loswerden, doch feststeht, dass die Anzahl der Streiks seit 1970 allmählich zurückgeht. Im Prinzip solidarisieren sich Franzosen gerne mit den Streikenden, doch vor allem in Paris lässt sich in den letzten Jahren ganz klar eine gewisse „Streikmüdigkeit“ beobachten. Wenn die Busse und Metros schon wieder nicht fahren, die Kinder nicht zur Schule können oder der Müll wieder mal tagelang nicht abgeholt wird, hat man eben irgendwann auch die Nase voll. Und so gibt es im Streikland Frankreich heutzutage sogar Demonstrationen gegen den Streik, wie dieses schöne Bild von 2010 zeigt.

Schluss mit dem Streik!

Papa est fatigué, arrêtez de le faire marcher ! Stop la grève !“ (Ein Wortspiel mit dem Ausdruck faire marcher, das sich auf die Streiks im öffentlichen Nahverkehr bezieht: „Papa ist müde! Hört auf, ihn zu verarschen! / Hört auf, ihn zur Arbeit laufen zu lassen! Schluss mit dem Streik!).

Bilder: CC/Hervé Corcia (Gymnasiasten), CC/Gongasian (Marianne), CC/Philippe Leroyer (Stop la grève), CC/Jean-Yves Romanetti (Graffiti). Quellen: Challenges (Place de la République), Europe 1 (800 Streiks 2016), Slate.com (Teilnehmerzahlen), The Local (Streiktage pro Arbeitnehmer), VRT (Frankreich bleibt Streikweltmeister), Les Echos (weniger Streiktage, mehr Demonstranten).

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